
Predigt: #osterFEUER
Die letzten Wochen waren schwierig. Gesellschaftlich gesehen, weil wir seit November (!) Lockdown haben; es scheint so, als hätten wir im Verlauf eines Jahres gar keine Fortschritte gemacht. Dass es Impfstoffe gibt, ist natürlich ein riesen Erfolg. Gleichzeitig muss man sagen, es gibt sie, und es gibt sie aber auch nicht…
Dieses bleierne Gefühl, bei allen persönlichen Einschränkungen nicht voranzukommen, keine Perspektive zu sehen, belastet. „Mütend“ beschreibt das Gefühl der Stunde, diese Mischung aus wütend-genervt und resigniert-müde.
Dasselbe Gefühl, wenn ich auf die Kirche schaue. Weiter Hickhack um mehr oder weniger einsehbare Gutachten, um mehr oder wohl weniger einsichtige Verantwortungsträger. Wie bei den Bundesländern: kann es denn so schwer sein, sich auf ein einheitliches Vorgehen zu verständigen und das dann zügig umzusetzen??
Diese Zentrale, die erst vor Kurzem richtig viel Geld verspekuliert hat, bei strukturellen Reformen kaum voran kommt und sich von höchster Stelle für ihre Ineffizienz schelten lassen muss, wird plötzlich ganz rege, wo es drum geht, ein Machtwort zu sprechen. Die Botschaft, die bei den allermeisten ankommt: die Kirche sieht sich nicht in der Lage, irgendjemanden zu segnen, der nicht hundertprozentig auf der gedachten Ideallinie liegt.
Als ob das nicht reichen würde, werden aus einem römischen Elfenbeinturm Störsignale gesendet. Diese Zentrale, die erst vor Kurzem richtig viel Geld verspekuliert hat, bei strukturellen Reformen kaum voran kommt und sich von höchster Stelle für ihre Ineffizienz schelten lassen muss, wird plötzlich ganz rege, wo es drum geht, ein Machtwort zu sprechen. Die Botschaft, die bei den allermeisten ankommt: die Kirche sieht sich nicht in der Lage, irgendjemanden zu segnen, der nicht hundertprozentig auf der gedachten Ideallinie liegt. Warum können wir nicht? Weil wir das sagen! *Argument Ende*
Jaja, alles nicht so gemeint, und alle meinen es doch auch nur gut. Aber immer mehr Leute glauben, dass es der Kirche nur um Selbsterhalt geht und das Hochhalten abstrakter, universaler Prinzipien, dass für sie der konkrete, einzelne Mensch dem völlig nachgeordnet ist. – Für eine Gemeinschaft, die sich der Nächstenliebe verschrieben hat, ist das ein fürchterlicher Befund! Das stellt alles in Frage. Ist die Kirche am Ende?
Der Historiker Martin Kaufhold prognostiziert genau das: in 20 Jahren sei die Kirche verschwunden…
So müssen sich auch die Jünger:innen nach der Kreuzigung gefühlt haben: alles ist an die Wand gefahren.
Dieses Gefühl, dass alles an die Wand gefahren ist, müssen auch die Jünger:innen nach der Kreuzigung erlebt haben. Hat man sich so in Jesus getäuscht, dessen Mission gescheitert ist? Oder ist man schon dem Richtigen gefolgt, aber die Menschheit ist einfach zu schlecht und zu sündig? Für einen wie Petrus kommt es ja ganz knüppeldick, mit Enttäuschung, Ratlosigkeit, Wut und Selbsthass, denn der hat ja noch ganz persönlich versagt. Fertig mit den Nerven, fertig mit der Welt. Nicht zurückzudrehende Ausweglosigkeit.
Und dann kommt von irgendwo… ein Grüpplein Frauen her. Beziehungsweise ja gerade nicht; laut Markus sind die Frauen allgemein von den Ereignissen, und im Besonderen vom Grabbesuch, so verstört, dass sie lieber schweigen statt ihre Botschaft anzubringen. Angst, dass man ihnen nicht glaubt, dass man sie als leichtgläubige, hysterische Fantasten abstempelt und lächerlich macht – (Katholik:innen von heute kennen das).
Die Auferstehungserzählung, die wir dieses Jahr lesen, kommt ohne rechten Beweis daher. In anderen Berichten sehen die Osterzeug:innen Jesus. Die Frauen hier haben diese Sicherheit nicht. Sie sehen nur, dass der Stein weggewälzt und das Grab verblüffenderweise leer ist, begegnen dem Engel und müssen sich darauf einen Reim machen, müssen glauben.
Ein bisschen scheint mir die Lage der Frauen wie unsere heute: man will ja nur zu gerne glauben, dass im Herbst die Pandemie weit besser im Griff ist – aber aus bisherigen Erfahrungen hat man so seine Zweifel, und die Ankündigung ist ein Versprechen, kein direkt prüfbarer Fakt. Es wird auch seine Zeit dauern, bis diese Hoffnung sich erhärtet und letztendlich auch bewahrheitet. – Heute etwa durch steigende Impfzahlen, damals durch Auferstehungsberichte und das inspirierte neue Lesen der biblischen Tradition und Verheißungsgeschichte.
Tatsächlich ist die Auferstehung bei näherer Betrachtung gar nicht so abwegig, wie man spontan vielleicht meint: wenn ein ewiger Gott der Grund dafür ist, dass alles Leben entstand, warum soll der irdische Tod das absolute Ende sein müssen? Wenn dieser Gott Gemeinschaft will, weil er höchst lebendig ist, warum soll dann die Gemeinschaft mit dem Menschen jeweils nach ein paar Lebensjahren unwiderruflich vorbei sein müssen? Wenn dieser Gott so treu ist, wie es das Volk Israel in seiner Geschichte erlebt, warum soll er nicht auch dem Einzelnen seine Treue erweisen können, über den Tod hinaus?
Bei der Pandemiebekämpfung wird immer wieder vom gamechanger gesprochen, der glücklichen Wendung, die die Krise maßgeblich verändert. Für die Jünger:innen ist die Oster-Einsicht der gamechanger fürs Leben: die vertiefte Erfahrung von Gottes treuer Liebe. „Wenn Gott zu uns hält, unverbrüchlich“, so wird Paulus notieren, „was soll uns dann am Ende des Tages passieren können?“ Das ist ein Blick über die nackten Fakten hinaus. Ja, wir haben unsere Probleme, unsere Befürchtungen, und auch einigen Grund dazu, aber wir lassen uns davon nicht lähmen. Wir gehen davon aus, dass sich Wege finden lassen. Wir bauen darauf, dass so viel mehr möglich ist, wenn man sicher ist, nicht allein zu sein.
Dieses Paulus-Wort wird mir immer mehr zum Motto in diesen Tagen, die ja ohne Frage eine Zumutung und Belastungsprobe sind: „Wir stehen von allen Seiten unter Druck, aber wir werden nicht erdrückt. Wir sind ratlos, aber wir verzweifeln nicht. Wir werden zu Boden geworfen, aber wir gehen nicht zugrunde.“
(2KOR 4, 8 – Basisbibel)
Ein anderes Wort von Paulus wird mir immer mehr zum Motto in diesen Tagen, die ja ohne Frage eine Zumutung und Belastungsprobe sind: „Wir stehen von allen Seiten unter Druck, aber wir werden nicht erdrückt. Wir sind ratlos, aber wir verzweifeln nicht. Wir werden zu Boden geworfen, aber wir gehen nicht zugrunde.“(2Kor 4, 8 – Basisbibel)
Ich frage mich übrigens, ob diese Erfahrungen rund um Tod und Auferstehen Jesu den Petrus nicht stark verändert und tief geprägt haben? So in den Abgrund zu schauen, bei sich selbst und im Leben generell, das muss doch Folgen haben! In seiner voreiligen Selbstsicherheit ist er bestimmt demütiger geworden. Gleichzeitig, könnte ich mir vorstellen, auch mutiger: wer Zeuge eines so unglaublichen „Comebacks“ wie das von Jesus wird, der muss doch ein unwahrscheinliches Vertrauen entwickeln, dass im Leben die verblüffendsten Wendungen zum Guten nicht ausgeschlossen sind.
Das unterscheidet Petrus hier vom Judas. Der hat sich ja besonders dramatisch belastet. Als alles eskaliert, verzweifelt er völlig. Er glaubt nicht mehr, dass da noch etwas Gutes kommen kann; er hat die Mission Jesu abgeschrieben, traut der Jesus-Bewegung (letztlich: der Kirche) keine Wandlung, keine Perspektive mehr zu, und damit verliert er jeden Lebensmut.

Die evangelische „Ankerstelle“ hat die letzten Wochen ein tolles Projekt ausgeheckt, an dem wir uns als Katholische Hochschulgemeinde gerne beteiligen: 6 Figuren aus der Passionsgeschichte, ins Heute übertragen, auf Papier gedruckt und als sogenannte Paste-Ups in der Mannheimer Innenstadt an Wände geklebt. Teil dieser bunten Truppe ist auch Petrus.
Petrus wird als Alphatier dargestellt, knalliger Anzug und tendenziell halbstark. Das ändert sich im Moment des Bildes, denn Petrus fängt nach der Erkenntnis, dass er verraten und versagt hat, bitter an zu weinen. Ob aus all dem nicht bald schon die wilde Entschlossenheit wächst, ab sofort einiges grundlegend anders zu machen? Ob nicht bislang sein Brustton der Selbstgewissheit einige Unsicherheit überspielen sollte? Vielleicht, so hoffe ich, wird der Einfluss Jesu auf ihn, der ohne Frage immer schon da war, jetzt nochmal viel klarer, konkreter und verpflichtender für Petrus.
In derselben Weise wünsche ich mir für unsere Kirche, das eigene Versagen ehrlich einzusehen und aufzuarbeiten und daraus Kraft zu innerer Bekehrung, zu geistlicher Reform zu schöpfen. Oder, wie das Kunstprojekt benannt ist: #wandelmut.
Auch in unserer Gesellschaft kann manches nicht bleiben wie es war: in der Art und Weise, wie wir uns organisieren, wie wir uns zur Natur verhalten, wie wir Wohlstand und Risiken verteilen.
Für all das braucht es Gestaltungsmut, Freude am Leben und den Menschen, Entschlossenheit zur Solidarität, und wohl auch österliches Gottvertrauen.
Auf der smarten Uhr des Petrus leuchtet eine trotzig-frohe Botschaft auf:
FCKDTH – Fuck death – frei übersetzt: keine Macht dem Tod! Oder: Tod, du kannst mich mal!
Hallo Herr Fletschinger, wieder einmal eine super Predigt an Ostern. Das kann nicht jeder, die Dinge so verständlich auf den Punkt zu bringen.
Herzlichen Dank und LG
M. Reichert